Freitag, 23. Juli 2010

Der Homunkulus


An der Strandpromenade von Gijon hat sich am Abend ein kleinwüchsiger Mensch eingefunden, ein Zwerg, hätte man früher gesagt. Gut ein Meter gross ist er, kleines Gesicht, übergrosse Hände und Füsse, die nur in Männerschuhen Platz haben. Auf dem Rücken trägt er einen schweren Rucksack, der auf vier kleinen Holzbeinen abgestützt scheint, um dem kleinen Wesen die Bürde etwas zu erleichern. Obendrauf ist eine Wolldecke gepackt, wohl für das Nachtlager dieses Armen, denkt man.

Schnell hat sich eine Menschenmenge um den Homunkulus versammelt, die Kinder im Halbkreis schauen angstvoll, denn der Kind-Mensch selbst grunzt mit tiefer Stimme immer wieder halb komische, halb furchterregende "Ojjejejejee, Hhaaaiii, Mmmmhhhh". Er bewegt dabei seinen Kleinkopf und wenn sich ein Kind zu nähern wagt, um ein Geldstück in ein Milchkesseli zu werfen, dann freut sich das Wesen und macht, wenn das Kind sich getraut, ein High-Five. Manchmal spielt er ein paar Töne auf seiner Flöte. Und wenn lange nichts gespendet wird, schubst er das Kässeli mit seinen übergrossen Füssen ein bisschen Richtung Umstehende. Er scheint absolut fest zu stehen, jedenfalls bewegt er seine Riesenfüsse weder nach vorn noch seitlich oder zurück.
Was ist sein Geheimnis, das sich nicht sofort erschliesst? Auch mich packt eine leichte Furcht, obschon ich weiss oder wissen müsste, dass ein Trick dahinter steckt eines Gauklers, des letzten bald, weil die Illusion ja nicht mehr echt dargestellt wird, sondern nur noch virtuell im Netz und digital. Diese altmodische, eben echte Illusion des Homunkulus wird einem entrissen, wenn man sich auf die Seite stellt und erkennt, dass der übergrosse Rucksack mit seinen vier Stützen nichts anderes ist als ein Stuhl, auf dem der Gaukler im Rucksack drin sich gesetzt hat, um seine stehende Figur im Sitzen zu bedienen und dabei seine "Ojjejejej"-Laute aus dem Inneren zu produzieren. Ein Meister seines Fachs.

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